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01.10.2021 Kategorie: ElmMusik, ErkerodeMusik

Musik in schwierigen Zeiten

Folge 230

Sehr geehrte Damen und Herren,

liebe Freunde der Kirchenmusik,

unter Beethovens neun Sinfonien zählt die Nr. 6 zu den besonders beliebten und häufig aufgeführten Werken. In der heutigen Ausgabe dreht sich also alles um seine Sinfonie Nr. 6 F-Dur op. 68, die "Pastorale".

Der Legende nach schrieb Ludwig van Beethoven sie am Ufer des Schreiberbach zwischen den Wiener Vororten Nußdorf und Grinzing, während er dort das bunte Treiben der Wachteln, Nachtigallen und Kuckucke beobachtete. Dass Beethoven die Rufe eben jener Vogelarten in der Komposition verewigte, mag den eindeutigen Beweis für die Erzählung liefern, an deren Wahrheitsgehalt jedoch wenig dran sein dürfte. Belegt ist hingegen, dass der Komponist ausgedehnte Spaziergänge in die Natur unternahm, unter deren Eindrücken er seine sechste Sinfonie schrieb.

Obwohl Beethoven die inhaltliche Aufladung von Kompositionen im Sinne heutiger Programmmusik stets kritisierte, überschrieb er die ersten Skizzen der Pastorale mit „Sinfonia caracteristica“ und später mit „Sinfonia pastorella“, das fertige Werk schließlich mit „Pastoral-Sinfonie oder Erinnerungen an das Landleben“. Entstanden ist die Pastorale in den Jahren 1807 bis 1808, nahezu zeitgleich mit der fünften Sinfonie des Komponisten. Die unterschiedlichen Charakteristika beider Sinfonien werden heute häufig als komplementär bezeichnet, Beethoven selbst äußerte sich dazu nicht.

In den insgesamt fünf Sätzen der sechsten Sinfonie zeichnet Beethoven musikalisch verschiedene Eindrücke eines städtisch geprägten Menschen in ländlicher Umgebung nach. Alle fünf Sätze fügen sich im Gesamtzusammenhang zu einem einheitlichen Bild, von dem Beethoven selbst behauptete, es habe „mehr Ausdruck der Empfindung als Malerei“. Den ersten Satz überschrieb er mit „Erwachen heiterer Empfindungen bei der Ankunft auf dem Lande“, der zweite Satz stellt eine „Szene am Bach“ dar. Die ineinander übergehenden Sätze drei, vier und fünf vertonen „Lustiges Zusammensein der Landleute“, „Gewitter und Sturm“ sowie „Hirtengesänge - Frohe und dankbare Gefühle nach dem Sturm“. Dennoch wollte Beethoven die Bedeutung seiner Musik lieber dem Zuhörer selbst überlassen. „Wer auch je nur eine Idee vom Landleben erhalte, kann sich ohne viele Überschriften selbst denken, was der Autor will“, heißt es in einer seiner hinterlassenen Schriften. 

Doch fast scheint es so, als hätte Beethoven bei der Komposition sicher gehen wollen, dass auch wirklich jeder Konzertgänger den Naturbezug seiner sechsten Sinfonie heraushört, ahmte er in der Coda des zweiten Satzes besagte Vogellaute nach, imitierte die Geräusche eines Wanderers, das Laufen eines Bachs und vertonte mithilfe von Kontrabässen, Celli, Piccoloflöte und Violinen im vierten Satz Donnergrollen, Sturm und Blitze. Beethoven ahnte wohl nicht, dass er mit seiner sechsten Sinfonie den Grundstein für eine neue musikalische Formsprache legte, die in der Programmmusik des 19. Jahrhunderts mündete und schließlich den Ausgangspunkt der Sinfonischen Dichtung darstellte. Ob es ihm gefallen hätte, bleibt - gerade mit dem Wissen um seine kritische Haltung gegenüber musikalischer Darstellungen außermusikalischer Gegenstände - fraglich.


Vielversprechend war die Uraufführung der sechsten Sinfonie nicht. Sie kam am 22. Dezember 1808 im Theater in Wien zwischen 18.30 Uhr und 22.30 Uhr in Verbindung mit Beethovens fünfter Sinfonie, seinem vierten Klavierkonzert, einer Arie, zwei Teilen einer Messe und obendrein der Chorfantasie zur Aufführung. "Dass man auch des Guten - und mehr noch - des Starken leicht zu viel haben kann" war die Erfahrung des Konzertbesuchers Johann Friedrich Reichardt, der es bei diesem Mammutprogramm vier Stunden lang im bitterkalten Theater ausgehalten hatte. Zuerst erklang die Pastorale, und allein sie, schrieb Reichardt, dauerte "länger als ein ganzes Hofkonzert bei uns dauern darf."

Sehr gerne empfehle ich heute einen Mitschnitt mit den Berliner Philharmonikern unter der Leitung von Bernard Haitink, aufgezeichnet am 5. April 2015 im Festspielhaus Baden-Baden

www.youtube.com/watch

Vor wenigen Wochen wurde bekannt, dass Joana Mallwitz als Nachfolgerin von Christoph Eschenbach ab der Saison 2023/34 das Konzerthausorchester Berlin als Chefdirigentin leiten wird. Wer gerne noch mehr über Beethovens Sinfonien Nr. 6 und Nr. 7 erfahren möchte, dem seien die beiden Einführungsvideos mit Joana Mallwitz und der Staatsphilharmonie Nürnberg empfohlen - hier zunächst die Sinfonie Nr. 6:

www.youtube.com/watch

... und hier noch die Sinfonie Nr. 7 A-Dur op. 92, die bereits in einer früheren Ausgabe vorgestellt wurde:

www.youtube.com/watch

Ihnen allen ein schönes Wochenende mit herzlichen Grüßen aus Braunschweig

Matthias Wengler

Beitrag von Matthias Wengler