Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Freunde der Kirchenmusik,
auch nach 85 Jahren ist unser heutiges Musikstück der Klassiker in Kinderkonzerten: Das musikalische Märchen "Peter und der Wolf" von Sergej Prokofjew.
Obwohl Prokofjew mit diesem ausdrücklich für Kinder komponierten Stück primär musikpädagogische Ziele verfolgte, war er bemüht, im Geiste des Sozialismus auf seine jungen Zuhörer einzuwirken, indem er sie zu solidarischem Verhalten und kollektivem Handeln aufforderte. Zugleich zeichnete er die Handlung und die Figuren auch musikalisch im Orchestersatz gestisch-atmosphärisch nach. So konnten die Kinder, sich an den charakterisierenden Leitthemen der Märchenfiguren orientierend, die im Text geschilderten Ereignisse in der Komposition emotional nacherleben. Auf diese unterhaltende Weise machte sie der Komponist nebenbei auch mit dem Instrumentarium des Sinfonieorchesters vertraut und schulte das Differenzierungsvermögen ihres Gehörs.
Musiktheater für Kinder stand damals von Staats wegen ganz oben; die moderne Medienkultur rund um das Kind hat hier eine ihrer Wurzeln. Am 2. Mai 1936 wurde am Swerdlow-Platz in Moskau ein neues Zentrales Kindertheater eröffnet. Seine Leiterin Natalija Saz war Prokofjew schon seit dem Vorjahr bekannt. Nun bat sie ihn um eine „einprägsame Fabel“, die die Kinder mit den Instrumenten des Sinfonieorchesters vertraut machen sollte. Prokofjew bot an, auch den Text zu dem Märchen zu schreiben.
Natalja Saz berichtet: „Er brachte das Stück mit und setzte sich an den Flügel. Wir hatten einige Schüler zum Zuhören geholt. Als ich den Text las und er Klavier spielte, spürte ich, dass ich an etwas Großem teilnahm. Kindern, die lernen wollen, wie man Musik hört, haben wir etwas Wichtiges hinterlassen.“
Entscheidend für den Welterfolg des Werkes war das pädagogische Konzept, das Komponist und Intendantin gemeinsam entwickelten: „Wir kamen zu dem Ergebnis, dass Charaktere gefunden werden müssten, die leicht mit dem Klang der verschiedenen Musikinstrumente zu assoziieren waren“, so Natalija Saz zu dem Vorsatz. Die Flöte machte den naheliegenden Anfang: „Die Flöte als Vögelchen wird unbedingt vorkommen. Es ist nichts dabei, auf die simpelsten Vorstellungen der Kinder einzugehen. Die Hauptsache ist, eine gemeinsame Sprache mit ihnen zu finden“, meinte Prokofjew zu der einmal gefundenen ästhetischen Gleichung. „Ja ,wir müssen vom Konkreten ausgehen, vom Gegensätzlichen und Beeindruckenden: Wolf – Vogel, böse – gut, groß – klein. Den unterschiedlichen Charakteren müssen unterschiedliche Klangfarben entsprechen, und jede Rolle hat ihr Leitmotiv.“
So einfach ist in der Tat das Konzept des Stückes, die Klangfarbendramaturgie wirkt ebenso einleuchtend, wie die Themen einprägsam: Peter-Streicher, Flöte-Vogel, Ente-Oboe, Katze-Klarinette, Großvater-Fagott, Wolf-Hörner bekommen alle ihr charakteristisches Thema - charakteristisch im drohenden oder fröhlichen Unterton, im watschelnden oder unbekümmert schlendernden Gang, in der Dur- oder Mollharmonik. Um das Rollenspiel noch deutlicher zu machen, gab Prokofjew die Anweisung, die Leitmotive vor jeder Aufführung von den einzelnen Instrumenten spielen zu lassen, damit sie die Kinder wiedererkennen können. Das „Action-Finale“ hat die Kinder bereits 1936 begeistert; es steht außer Frage, dass die Klassiker des Genres Kindersendung wie "Die Sendung mit der Maus", "Der rosarote Panther" oder "Sesamstraße" letztlich alle auf der von Prokofieff verwendeten Gleichung beruhen: Tier = Klangfarbe + Leitmotiv.
Die klare, verständliche, einfache Diktion von Prokofjews Kindermusik hat "Peter und der Wolf" schnell zu einer der populärsten Kompositionen des 20. Jahrhunderts werden lassen.
Zu unserer heutigen Aufführung: 1975 klingelte bei Loriot das Telefon. Am anderen Ende war Karl Böhm. Der Dirigent wollte mit seinem Sohn Karlheinz Böhm Prokofjews Märchen aufnehmen und fragte Loriot, ob er nicht Lust hätte, einen neuen Text dafür zu verfassen. Loriot fühlte sich durch den Anruf des großen Maestro geschmeichelt und sagte zu. Die Platte erhielt den Deutschen Schallplattenpreis, auch Loriots Version von "Peter und der Wolf" wurde ein Klassiker.
Im Rahmen eines Benefizkonzerts der Deutschen Oper Berlin trat Loriot auch einmal öffentlich als Sprecher mit diesem Werk auf: Der Mitschnitt entstand am 16. Dezember 1996, das Orchester der Deutschen Oper Berlin musiziert unter der Leitung von Marcello Viotti:
Ihnen allen ein schönes Wochenende mit herzlichen Grüßen aus Braunschweig
Matthias Wengler