Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Freunde der Kirchenmusik,
heute einmal ein Werk, das in Braunschweig uraufgeführt wurde: Franz Liszts sinfonische Dichtung Prometheus.
Ende August 1849 organisierte Franz Liszt in Weimar ein Goethe-Fest, um den 100. Geburtstag des Dichters zu feiern. Ein Jahr später galt es, mit dem Philosophen Johann Gottfried Herder einen weiteren Sohn Weimars zu ehren. Zur Enthüllung einer Statue am 24. August 1850 anlässlich Herders 106. Geburtstags trug Liszt dazu eine Festmusik bei: die Chöre zu Herders Der entfesselte Prometheus. Die gewichtige Ouvertüre zu diesem Werk arbeitete er später zu einer sinfonischen Dichtung um, die in dieser Form 1855 ihre Uraufführung in Braunschweig erlebte.
Im Vorwort zur gedruckten Ausgabe formulierte Liszt die inhaltliche Gestaltung des Werkes. Demnach sollte seine Komposition keineswegs ein Porträt des Menschenschöpfers und Zeusantipoden Prometheus darstellen. Vielmehr bestand das Ziel des Komponisten darin, mit der Musik "die Stimmungen aufgehen zu lassen, welche unter den verschiedenen wechselnden Formen des Mythos seine Wesenheit, gleichsam seine Seele bilden: Kühnheit, Leiden, Ausharren, Erlösung."
Liszt setzte diese Konzeption in einem überaus kontrastreichen Sonatensatz um, dem eine dunkle, ernste Einleitung vorangestellt ist. Dramatisch präsentiert sich der Hauptsatz, auf dessen Höhepunkt eine Fuge über ein markantes Motiv erklingt, bevor das Werk triumphal ausklingt. Liszt beschrieb diesen musikalischen Verlauf mit emphatischen Bildern: "Leid und Verklärung! So zusammengedrängt erheischte die Grundidee dieser nur zu wahren Fabel einen gewitterschwülen, sturmgrollenden Ausdruck. Ein tiefer Schmerz, der durch trotzbietendes Ausharren triumphiert, bildet den musikalischen Charakter dieser Vorlage."
Selbst heute noch kann die Eröffnung von Liszts Werk auf das Publikum wie ein Schock wirken, da der Komponist unkonventionelle Harmonien und Rhythmen, sowie später auch eine Fuge einsetzt, um das Ringen des Prometheus darzustellen, der in einer Version der Sage das Feuer vom Himmel stahl und zur Strafe von Zeus an einen Felsen gekettet wurde. Dort hackte ihm ein Adler die Leber aus, die aber über Nacht immer wieder nachwuchs, so dass seine Qual nie aufhörte. Verzweifelte Aufschreie in der Einleitung, insistierende Streicherläufe im bewegten Hauptteil, eine hoffend-flehende Cello-Melodie als Seitenthema oder ein gleichsam kämpferisches Fugato im Mittelteil entsprechen in der Musik den verschiedenen Aspekten der „Grundidee“. Die dramatischen Orchestereffekte und die spannungsgeladene oder chromatische Harmonik lassen dabei ahnen, welche Anregungen sich Richard Wagner bei seinem späteren Schwiegervater geholt haben mag. Schließlich zeigt sich Liszt hier auf musikalischem Gebiet in der Tat als ein ebensolcher Revolutionär, wie man ihn seit der Aufklärung in Prometheus als dem Kulturstifter und Befreier der Menschheit sah.
Yannick Nézet-Séguin ist im folgenden Link mit Liszts Prometheus zu sehen, vermutlich spielt das Philadelphia Orchestra, aufgezeichnet im April 2017 in Shanghai:
www.youtube.com/watch