Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Freunde der Kirchenmusik,
das Werkpaar "Präludium und Fuge" zieht sich durch alle Epochen der Musikgeschichte, kaum ein Komponist hat hiervor Halt gemacht - drei sehr unterschiedliche Beispiele habe ich für Sie in der heutigen Ausgabe zusammengestellt.
Viele denken bei "Präludium und Fuge" sicherlich an Johann Sebastian Bach, seine zahlreichen Orgelwerke und an die beiden Bände seines "Wohltemperierten Klaviers". Das berühmteste Stück ist sicherlich das erste Stück in C-Dur BWV 846 aus dem ersten Band geworden: Es stellt technisch keine hohen Anforderungen und inspirierte zahlreiche Komponisten zu Bearbeitungen, darunter Charles Gounod zu seinem "Ave Maria", einem Dauerschlager für Organisten bei Trauungen. Hier das Original, gespielt von András Schiff; der Mitschnitt entstand am 7. September 2017 im Rahmen der BBC Proms in der Londoner Royal Albert Hall:
Bachs Wohltemperiertes Klavier stand Pate für Dmitri Schostakowitschs pianistische Wanderung durch 24 Tonarten. Der russische Komponist lehnte sich jedoch nur formal an den Altmeister an, innerlich zog er einen weitgespannten Ausdrucksbogen in sein strenges Gebäude ein. Für die 1993 verstorbene russische Pianistin Tatjana Nikolajewa waren Schostakowitschs Präludien und Fugen op. 87 das zentrale Werk ihrer Karriere. Sie inspirierte Schostakowitsch nicht nur zu diesem Zyklus und führte das ihr gewidmete Werk 1952 als Erste überhaupt auf, sondern blieb ihm auch bis an ihr Lebensende treu: Dreimal spielte sie den Zyklus auf Schallplatte ein, und auch ihr letzter Auftritt wenige Tage vor ihrem Tod war den Präludien und Fugen gewidmet.
Der russische Pianist Mikhail Pletnev ist hier in einem Ausschnitt aus dem 6. Internationalen Tschaikowsky-Wettbewerb zu erleben, der 1978 im Großen Saal des Moskauer Konservatoriums stattfand; Mikhail Pletnev spielt Schostakowitschs Präludium und Fuge B-Dur op. 87 Nr. 21:
Und zum Abschluss noch ein besonderer Komponist/Interpret, der ebenfalls ein Klavierwerk mit diesem Werkpaar veröffentlichte: Friedrich Gulda, der unter den Pianisten des 20. Jahrhunderts eine wahrhaft originelle Persönlichkeit war. Im Konzertsaal zeichnete er sich vor allem durch seine Interpretationen des deutsch-österreichischen Repertoires aus, wie seine unvergänglichen Mozart- und Beethoven-Einspielungen bezeugen. Guldas Interpretationen erinnern an den ausgeprägt rhythmischen Stil, den man von den besten Pianisten seiner Zeit kennt.
Doch Friedrich Gulda hat sich seit dem Beginn seiner Karriere in zunehmendem Maße auch für den Jazz interessiert. Er improvisierte und komponierte selbst Jazz und schätzte diese Richtung(en) immer mehr. Gulda hat mit vielen bedeutenden Musikern wie Joe Zawinul, Chick Corea und Herbie Hancock zusammengearbeitet. Die konventionelle Kleiderordnung hat er in seinen Konzerten oft vermieden - nicht selten spielte er in Jeans oder Freizeitkleidung. Gulda hat immer an Mozarts Geburtstag sterben wollen, und genau das ist im Jahr 2000 auch eingetreten.
Friedrich Gulda kombinierte in seinen Kompositionen die klassische Tradition der notierten Musik mit großen improvisatorischen Abschnitten, blieb dabei aber immer verständlich. Seine Klavierwerke können ganz natürlich in einem klassischen Recital neben den Standardwerken eines Mozart, Beethoven, Debussy usw. erklingen. "Prelude and Fugue" (1965) spricht von Guldas Liebe zu Bach und der Polyphonie. Sein Präludium besteht im Grunde aus einer rhythmischen Idee, die zu einem erstaunlichen Arsenal an Jazzharmonien ständig wiederholt wird. Als Vorbilder dürften Gulda hier die Präludien C-Dur und/oder c-Moll aus dem ersten Band des Wohltemperierten Klaviers gedient haben, die beide ähnliche rhythmische Formeln wiederholen. Über seine Fuge sagte Gulda: "The whole thing must swing!" - und Swing hat es auch, wenn Gulda sein kompositorisches Können hier an einer durchgehend seriösen Doppelfuge demonstriert. Am Ende steht freilich eine improvisierte Kadenz. Friedrich Gulda spielte "Prelude and Fugue" am 19. November 1990 in der Münchner Philharmonie:
Ihnen allen einen schönen Tag mit herzlichen Grüßen aus Braunschweig
Matthias Wengler