Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Freunde der Kirchenmusik,
es gibt Kompositionen, denen man sich nicht mehr ohne ein Wort der Erklärung nähern kann und die bis zu einem bestimmten Datum ein ganz "normales" Leben im Konzertsaal führten. Die 1854 fertiggestellte sinfonische Dichtung "Les Préludes" von Franz Liszt gehört zu diesen Werken.
"Was anderes ist unser Leben, als eine Reihenfolge von Präludien zu jenem unbekannten Gesang, dessen erste und feierliche Note der Tod anstimmt?" So beginnen die programmatischen Zeilen, die Franz Liszt der Orchesterpartitur von "Les Préludes" nach Worten von Alphonse de Lamartine hinzugefügt hat. Die Musik schildert verschiedene Lebensetappen: vom ersten Erwachen und Erwachsenwerden über schwärmerische Liebe, den Rückzug in die Natur und dem Ausbruch eines kämpferischen Willens, der am Ende zu einem überhöhten Triumph führt. Erwachen, erwachsen werden, lieben, kämpfen, triumphieren: Franz Liszts "Les Préludes" lässt sich als eine Schilderung eines verklärten Lebenslaufs hören.
Den Effekt, den das Werk macht, erkannten auch die Propagandisten zur Zeit des NS-Regimes. 1941 benötigten die Nationalsozialisten in Deutschland ein akustisches Signal für Wehrmachtsmeldungen im Krieg gegen die Sowjetunion. Während also die Deutschen Leningrad belagerten, bekamen die Deutschen in der Heimat am Volksempfänger mit einer Passage aus Liszt "Les Préludes" (sie wurde auch "Russland-Fanfare" genannt) "Erfolgsmeldungen" von einem vermeintlich siegreichen Krieg. Liszts Fanfare wurde als Erkennungsmelodie für den Wehrmachtbericht im Rundfunk und in den Wochenschauen verwendet und erklang bis zum völligen Absturz, als die vermeintlichen Erfolge sich schon längst in Depression und Niederlage verwandelt hatten.
Um es deutlich klarzustellen: Liszt ist mit keinem Wort und keinem Ton explizit als ein als Vordenker der nationalsozialistischen Ideologie hervorgetreten. Bis heute ist das Werk jedoch nur selten in den Konzertsälen zu erleben.
Drei Aufführungen stelle ich Ihnen heute gerne zur Auswahl: Sir Georg Solti mit dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks, aufgezeichnet im Münchner Herkulessaal am 31. Dezember 1980:
Daniel Barenboim und die Berliner Philharmoniker, aufgezeichnet im April 1998 in der Berliner Staatsoper Unter den Linden:
Und zum Schluss das West Eastern Divan Orchestra unter der Leitung von Daniel Barenboim, aufgezeichnet am 21. August 2009 im Rahmen der BBC Proms in der Londoner Royal Albert Hall:
Ihnen allen ein schönes Wochenende mit herzlichen Grüßen aus Braunschweig
Matthias Wengler