Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Freunde der Kirchenmusik,
vor gut einem Jahr habe ich Ihnen in der 105. Ausgabe Johann Sebastian Bachs Magnificat BWV D-Dur 243 vorgestellt - dieses Werk können Sie heute noch einmal erleben. Hinzu kommt die Vertonung von dem Bach-Sohn Carl Philipp Emanuel, die heute im Mittelpunkt steht.
Das Magnificat Wq 215 entstand 1749 in Potsdam, wo Carl Philipp Emanuel Bach seit 1738 am Hofe des damaligen Kronprinzen von Preußen das Amt des Hofcembalisten inne hatte. Die Aufführung fand an einem Marienfest statt, vermutlich in der Leipziger Thomaskirche, an welcher der Vater die Stelle des Thomaskantors innehatte. Der wollte dem Sohn möglicherweise ein Podium bieten, um sich mit einem repräsentativen Vokalwerk einen Namen zu machen - nicht zuletzt, um sich für die Nachfolge des Thomaskantors ins Spiel zu bringen und endlich den Absprung vom preußischen Hof Friedrichs des Großen zu schaffen.
Dieses Vorhaben missglückte, wenngleich es dem Werk keinen Abbruch tat. Im Gegenteil: Carl Philipp Emanuels Bachs Magnificat wurde zu einem seiner Repertoirestücke, das er immer wieder überarbeitete. Teile daraus fanden auch in seinen späteren geistlichen Werken Verwendung. Die Überarbeitungen gipfelten in der Wiederaufführung des Magnificats im Jahr 1779 in Hamburg, wo er inzwischen amtierender Musikdirektor war. Er erweiterte den Orchestersatz um Pauken und Trompeten, baute die Hornpartie aus und komponierte den Satz „Et misericordia“ neu. Es hat sich jedoch eingebürgert, diesen Satz in seiner ursprünglichen Fassung von 1749 zu musizieren.
Man kommt nicht umhin Carl Philipps Komposition als eine Hommage an den Vater zu sehen, denn die Parallelen zu dessen Magnificat sind unverkennbar: der imposante D-Dur Beginn, das "Fecit potentiam"-Motiv und das nahezu wörtliche Zitat in „Deposuit potentes“ mit seinen absteigenden Tonleiterbewegungen. Imposant endet das Werk im Schlusssatz „Sicut erat in principio“ mit einer Fuge. Carl Philipp Emanuel Bach zieht hier nochmals alle Register: Der Satz gipfelt in einer groß angelegten virtuosen Doppelfuge, in der der Sohn seine vom Vater erlernte kontrapunktische Raffinesse unter Beweis stellt. Dennoch kann er sein empfindsames norddeutsches Gemüt nicht verstecken. Vor allem in den Arien scheint seine moderne Tonsprache immer wieder durch. Davon zeugt der weitestgehende Verzicht auf Kontrapunktik, die opernhaften Anleihen, die gefühlsbetonte Melodieführung und nicht zuletzt das Spiel mit dem Wechsel des Affekts.
Der heutige Konzertmitschnitt stellt die beiden Magnificat-Vertonungen von Vater und Sohn gegenüber: Im Dezember 2020 musizierten im Ludwigsburger Forum am Schlosspark Miriam Feuersinger (Sopran I), Anja Scherg (Sopran II), Marie Henriette Reinhold (Alt), Patrick Grahl (Tenor), Markus Eiche (Bass) und die Gächinger Cantorey unter der Leitung von Hans-Christoph Rademann:
Ihnen allen einen schönes zweites Adventswochenende mit herzlichen Urlaubsgrüßen von der Nordsee
Matthias Wengler