Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Freunde der Kirchenmusik,
wie das Wetter der letzten Tage ist auch unser heutiges Musikstück: Sehr wechselhaft geht es in den Four Sea Interludes op. 33 a aus der Oper "Peter Grimes" von Benjamin Britten zu.
Bereits zu Lebzeiten galt Benjamin Britten als bedeutendster britischer Komponist des 20. Jahrhunderts - und doch sorgte er immer wieder für Diskussionen. Britten war Pazifist, homosexuell und, zumindest für englische Verhältnisse, ein Neutöner. Das Establishment betrachtete ihn lange als Unangepassten, der gesellschaftliche Werte in Frage stellte. Nicht zufällig kreisen viele seiner Bühnenwerke um Außenseiter: vom Stotterer Billy Budd über den Antimilitaristen Owen Wingrave bis hin zum homosexuellen Dichter Gustav von Aschenbach in „Tod in Venedig". Zu diesen Randfiguren der Gesellschaft zählt auch Peter Grimes aus Brittens gleichnamiger Oper. Mit der im Juni 1945 im Londoner Sadler‘s Wells Theater uraufgeführten Oper begann der Erfolg Brittens. Ausgehend von dem Gedicht „The Borough“ von George Crabbe schrieb Montagu Slater den Text der Oper: Peter Grimes, Fischer in einem kleinen Dorf, verliert durch unglückliche Umstände zwei seiner Fischerjungen. Die Dorfgemeinschaft macht ihn für den Tod beider Jungen verantwortlich und treibt ihn schließlich soweit, dass er sich selbst im Meer ertränkt.
Der Konflikt zwischen Individuum und Gesellschaft, zwischen Auflehnung und Anpassung war im Europa der Diktaturen natürlich von höchster Aktualität. Es gibt aber noch ein zweites, ebenso wichtiges Thema der Oper: das Meer. Britten, aufgewachsen an der englischen Ostküste, wollte dem „ewigen Kampf der Männer und Frauen, die ihr Leben, ihren Lebensunterhalt dem Meer abtrotzten, Ausdruck verleihen“. Dieses Konzept schlägt sich vor allem in den sechs orchestralen Zwischenspielen der Oper nieder. Vier von ihnen veröffentlichte Britten separat als Orchestersuite. Das erste, "Dawn" (Morgendämmerung), zwischen Prolog und 1. Akt der Oper angesiedelt, malt das Erwachen des Tages als Ineinander von Nachtdunkel (Blechbläserakkorde) und zaghaften Sonnenstrahlen (hohe Streicher), in das einzelne Wellenschläge tönen (Klarinetten, Bratschen). Der „Sundy Morning" (Sonntagmorgen) beginnt mit glockenartigen Hornstößen und stilisierten Vogelstimmen (Flöten), bevor echte Glocken zum Gottesdienst im 2. Akt rufen. Parallel hierzu stimmen die Geigen Ellens zuversichtlichen Morgengruß an. Das „Moonlight“ (Mondlicht), das dem 3. Akt vorausgeht, besteht wiederum aus einzelnen Farbtupfern von Flöte und hohen Streichern vor dem Hintergrund statischer Bläserakkorde. Anders als im ersten Zwischenspiel ist hier die drohende Katastrophe bereits vorauszuahnen. Der abschließende "Storm" (Sturm) gehört inhaltlich in den 1. Akt: ein furioses Orchesterscherzo, das Britten aus Gründen der Dramatik ans Ende der Suite setzte. All diese Naturschilderungen sind mehr als nur moderne Programmmusik. Sie entwerfen Gegenwelten, frei vom Kampf der Menschen um ein gelingendes Miteinander.
Zwei Aufführungen möchte ich Ihnen heute empfehlen, beide kommen aus der Londoner Royal Albert Hall von dem BBC Proms: Das BBC Symphony Orchestra spielte Britten Four Sea Interludes am 17. August 2010 unter der Leitung von Edward Gardner:
Und noch einmal das BBC Symphony Orchestra, diesmal unter der Leitung von Sakari Oramo, aufgezeichnet am 12. Juli 2013: