Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Freunde der Kirchenmusik,
vor einigen Wochen hatte ich Ihnen hier schon einmal die Oper "Carmen" vorgestellt; heute folgen zwei Kurzversionen dieses Meisterwerks von Georges Bizet in Form von Fantasien für Violine und Orchester von Pablo de Sarasate und Franz Waxman sowie eine Quadrille von Eduard Strauss.
Der spanische Geiger Pablo de Sarasate studierte in Paris. Bereits im Alter von 15 Jahren begann er eine Solistenkarriere, die ihn in ganz Europa und Amerika berühmt machen sollte. Zu den Komponisten, die für ihn schrieben, gehörten Max Bruch und seine Geigenkollegen Joseph Joachim und Henryk Wieniawski. Um 1883 komponiert, passt Sarasates Konzertfantasie über die spanischste aller Opern, Bizets "Carmen", zu seiner Vorliebe für spanische Tänze und Zigeunerweisen. Instinktiv erfasste er den authentischen Reiz von Bizets Melodien, die er in ein Feuerwerk aus inspirierten Passagen und lang ausgesponnenen Melodiebögen verwandelte. Nach anfänglichen Kontroversen nach der Uraufführung (1875) wurde die Carmen-Fantasie ein großer Erfolg.
Vier Interpretationen der Carmen-Fantasie op. 25 stelle ich Ihnen gerne zur Auswahl - zunächst Midori mit dem Boston Symphony Orchestra unter der Leitung von Seiji Ozawa. Der Ausschnitt stammt aus dem Festkonzert zu Leonard Bernsteins 70. Geburtstag, das im August 1988 in Tanglewood stattfand - Midori war damals 16 Jahre jung:
Im Silvesterkonzert der Berliner Philharmoniker spielte 1997 Gil Shaham die Carmen-Fantasie unter der Leitung von Claudio Abbado:
Auch auf der Berliner Waldbühne war das Werk bereits zu hören: Sarah Chang musizierte dort am 1. Juli 2001 mit den Berliner Philharmonikern unter der Leitung von Placido Domingo:
Und zuletzt noch einmal ein Mitschnitt aus Tanglewood: Anlässlich des 75-jährigen Jubiläums des Tanglewood Music Festivals musizierte Anne-Sophie Mutter das Werk am 14. Juli 2012 mit dem Tanglewood Music Center Orchestra unter der Leitung von Andris Nelsons:
Als Vergleich nun zur Carmen-Fantasy von Franz Waxman: Der 1906 im schlesischen Königshütte (heute: Chorzów) geborene Franz Wachsmann war vor allem ein Filmmusik-Komponist von herausragender Bedeutung. Vor seiner Emigration in die USA 1934 spielte Wachsmann in Berliner Varietés und Nachtclubs und wurde Nachfolger Friedrich Hollaenders als Pianist der Jazz-Band "The Weintraub Syncopators". In dieser Rolle hörte ihn der Produzent Erich Pommer und bot ihm an, eine Filmmusik Hollaenders zu arrangieren. Es ging um kein geringeres Werk als "Der blaue Engel" mit Emil Jannings und Marlene Dietrich in den Hauptrollen.
In seiner Hollywood-Zeit arbeitete Wachsmann - nun unter dem Namen Waxman - für die großen Studios wie Warner Brothers und Metro Goldwyn Mayer, schrieb die Partituren zu fast 150 Spielfilmen u. a. von Alfred Hitchcock und Billy Wilder und verdiente sich zwei Oscars in der Kategorie „Beste Filmmusik“. Seine Carmen-Fantasy für Violine und Orchester zählt auch fast siebzig Jahre nach ihrer Entstehung zum Kernrepertoire der Violin-Virtuosen. Ursprünglich entstand sie für den Film "Humoresque" (1946), in dem John Garfield diese konzertanten Werke in Gestalt eines jungen, aufstrebenden Virtuosen „spielte“ - während Isaac Stern den Geigensound dazu lieferte. Es war aber Jascha Heifetz, der Waxman, seinen direkten Nachbarn in Beverly Hills, dazu inspirierte, die Carmen-Fantasy zu einem eigenen Stück auszuarbeiten, das er dann in der populären Rundfunksendung "The Bell Telephone Hour" spielen würde. Nach der Uraufführung am 9. September 1946 trat das Stück seinen weltweiten Siegeszug an.
Die Carmen-Fantasy stützt sich auf thematisches Material aus Bizets Oper, und Waxman spickte das Stück mit technischen Schwierigkeiten wie Glissandi, Pizzicati, Trillern und Flageoletts in höchsten Tempi. Musikalisch zitiert Waxman u. a. aus der Aragonaise, Habanera, Séguidilla und entzündet ein leicht brennbares, hochvirtuoses Feuerwerk. Jascha Heifetz ist mit Waxmans Carmen-Fantasy zwar im folgenden Link nicht zu sehen, aber zu hören, es spielt das RCA Victor Symphony Orchestra unter der Leitung von Donald Voorhees:
Zwei Fassungen von Waxmans Carmen-Fantasy in der Fassung für Violine und Klavier bilden den Abschluss der heutigen Ausgabe - zunächst Maxim Vengerov, der das Werk gemeinsam mit Vag Papian 1999 im Rahmen der BBC Proms in der Londoner Royal Albert Hall spielte:
Und zum Abschluss noch ein junger Geiger aus Österreich, der aktuell sowohl als Solist als auch als Dirigent dabei ist, weltweit die internationalen Konzertpodien zu erobern. 2015 trat Emmanuel Tjeknavorian mit Waxmans Carmen-Fantasie beim Sibelius-Violinwettbewerb in der Helsinki Music Hall an, begleitet wurde er von Naoko Ichihashi, er gewann den 2. Preis:
Und als Zugabe für heute noch die Carmen-Quadrille von Eduard Strauss aus dem Neujahrskonzert der Wiener Philharmoniker vom 1. Januar 2012 mit Mariss Jansons:
Ihnen allen einen schönen Tag mit herzlichen Grüßen aus Braunschweig
Matthias Wengler