Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Freunde der Kirchenmusik,
nach langer Zeit steht wieder einmal eine komplette Oper im Mittelpunkt - heute fällt die Auswahl auf Giuseppe Verdis "La Traviata", die jemand mal kurz und schmerzlos in folgenden Worten zusammengefasst hat: "Die Handlung? Prostituierte mit Lungenentzündung! - Ende der Handlung!"
Als Alexandre Dumas 1848 seinen Romanerstling “Die Kameliendame” veröffentlichte, war er gerade mal 24 Jahre alt. Das jugendlich leidenschaftliche und sozialkritische Buch über die liebende Kurtisane wurde vom bürgerlichen Publikum mit einer Mischung aus Skandal und Begeisterung angenommen. Es war spätestens mit der Dramatisierung 1852 ein Erfolg, den Giuseppe Verdi im Jahr darauf allerdings noch steigerte: Am 6. März 1853 hatte in Venedig “La Traviata” Premiere, die für die Opernbühne umgearbeitete Variante der Dumas-Geschichte.
Verdi hatte es nach immerhin 16 Opern mit unterschiedlichem Anklang beim Publikum geschafft, drei großartige Werke nacheinander zu schaffen. Nach "Rigoletto" und "Il Trovatore" präsentierte er mit "La Traviata" allerdings ein für seine Verhältnisse ungewöhnlich aktuelles Melodram um die Wahrhaftigkeit der Liebe, das er nicht in der Vergangenheit des ausgehenden Mittelalters mit viel Pomp und Aufwand inszenierte, sondern im Paris seiner Epoche mit Fokus auf nur eine Hauptperson. Das Werk war in vieler Hinsicht ein Kraftakt. Zunächst entstand die komplette Oper innerhalb von 46 Tagen. Verdis Librettist Francesco Maria Piave schrieb sich mit der Umarbeitung der Vorlage die Finger wund, und Verdi selbst reiste noch mit einer Art Particell nach Venedig zu den Proben. Die Orchestrierung stellte er während der Orchesterproben fertig und so war “La Traviata” taufrisch, als sich am 6. März 1853 im “Teatro La Fenice” der Vorhang hob.
Allerdings waren der Inszenierung einige schwerwiegende Fehler unterlaufen. Vor allem mit der Darstellerin Fanny Salvini-Donatelli hatte man Pech. Denn die üppige Dame löste als schwindsüchtige Violetta eher Heiterkeit denn Mitleid aus. Die Schauspieler mussten sich außerdem in barocke Gewänder zwängen, so dass schließlich die ganze Oper arg unfertig und unausgewogen wirkte. An den Bombast und die Opulenz früherer Werke gewohnt, winkten die Zuhörer zunächst ab. Erst eine zweite, sorgfältigere Umsetzung im Frühjahr 1854 im Teatro San Benedetto, ebenfalls in Venedig, sorgte für den Durchbruch. Von da an entwickelte sich "La Traviata" zu einer der meistgeschätzten Opern auf internationalen Spielplänen. Über den sozialkritischen Stoff als inhaltliche Neuerung hinaus - das Plädoyer für die emotionale Selbstbestimmung der Frau - schuf Verdi einen musikalischen Querschnitt durch seine Ausdrucksmöglichkeiten, wie man ihn nur in wenigen vorangehenden Werken finden konnte.
Die Handlung:
1. Akt
Die Kurtisane Violetta Valéry feiert ausgelassen in Paris, nach langer Krankheit nur scheinbar genesen. Alfredo, ein junger Mann aus der Provinz, preist in einem Trinklied die wahre Liebe. Violetta hingegen bekennt sich zum unbeschwerten Lebensgenuss. Inmitten des ausgelassenen Fests erleidet sie einen Schwächeanfall. Als sie sich von der Menge zurückzieht, gesteht ihr Alfredo seine Liebe, auf die sich Violetta nicht einlassen will: Sie könne ihm nur Freundschaft, nicht aber Liebe versprechen. Doch schnell gerät sie in einen Zwiespalt der Gefühle: Soll sie ihr bisheriges Leben aufgeben und Gefühle zulassen?
2. Akt
Violetta und Alfredo sind ein Paar und haben sich aufs Land zurückgezogen. Violetta sind seither große Schulden entstanden, die sie vor Alfredo geheim hält. Als er von Violettas Haushälterin Annina erfährt, dass Violetta ihr Habe verkauft, um den gemeinsamen Haushalt weiter finanzieren zu können, reist er nach Paris, um seinerseits die notwendigen Mittel bereitzustellen.
Während seiner Abwesenheit fordert Alfredos Vater von Violetta das Ende der Beziehung, die den Ruf der Familie und damit die Verlobung von Alfredos Schwester gefährdet. Nach langem Kampf willigt Violetta ein, sich für das Glück der Schwester zu opfern. Sie schreibt einen Abschiedsbrief, entzieht sich dem zurückkehrenden Alfredo und reist heimlich nach Paris. Alfredo, dem sie ihren Brief überbringen lässt, vermutet, Baron Douphol habe ihm Violetta ausgespannt. Als er ihre Einladung zu einem Fest findet, folgt er ihr, um Rache nehmen.
Bei dem orgiastischen Fest geht es hoch her. Alfredo gewinnt im Glücksspiel und reizt Douphol. Violetta will eine weitere Eskalation verhindern und bittet Alfredo um ein Gespräch, in dem sie ihm aber den wahren Grund ihres Bruches verschweigt. Von Alfredo bedrängt, erklärt sie, den Baron zu lieben. Voll Zorn und Enttäuschung beleidigt Alfredo - zum Entsetzen der Anwesenden - Violetta aufs Gröbste.
3. Akt
Die verarmte Violetta ist dem Tod nahe. Einer Nachricht von Alfredos Vater entnimmt sie, dass dieser nun die Wahrheit kennt und um ihr Opfer weiß. Doch der endlich ankommende Geliebte trifft, ebenso wie sein herbeigeeilter Vater, nur noch eine Sterbende an.
Willi Deckers Inszenierung bei den Salzburger Festspielen hat 2005 Operngeschichte geschrieben. Es war der Durchbruch für das damalige Traumpaar der Oper: Anna Netrebko (Violetta Valéry) und Rolando Villazon (Alfredo Germont); Thomas Hampson (Giorgio Germont) komplettierte als Alfredos Vater das Hauptrollen-Trio. Es spielten die Wiener Philharmoniker unter der Leitung von Carlo Rizzi:
Einen ähnlichen Durchbruch wie Anna Netrebko erlebte Angela Gheorghiu 1994 in der Rolle der Violetta in Londons Royal Opera House Covent Garden. In der Inszenierung von Richard Eyre und unter der musikalischen Leitung von Sir Georg Solti sind Frank Lopardo (Alfredo Germont) und Leo Nucci (Giorgio Germont) in den weiteren Hauptpartien zu sehen:
Und zum Schluss noch eine letzte Empfehlung: Die Vorstellung vom 29. Mai 2018 aus der Wiener Staatsoper wurde live im Internet übertragen. Zu erleben sind Irina Lungu (Violetta Valéry), Pavol Breslik (Alfredo Germont) und Placido Domingo (Giorgio Germont), die Wiener Philharmoniker spielen unter der Leitung von Marco Armiliato, die Inszenierung stammt von Jean-Francois Savidier:
Ihnen allen ein schönes Wochenende mit herzlichen Urlaubsgrüßen von der Nordsee
Matthias Wengler