Nachricht

23.03.2022 Kategorie: ElmMusik, ErkerodeMusik

Musik in schwierigen Zeiten - 303

Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Freunde der Kirchenmusik,
 
im Berliner Konzerthaus findet noch bis zum 27. März 2022 eine Hommage an Dmitri Schostakowitsch statt. Zahlreiche Werke des russischen Komponisten sind seit 15. März dort zu hören - von ausgewählten Sinfonien bis hin zu Solokonzerten und Kammermusik-Formationen reichte die Bandbreite. Auch unser heutiges Musikstück, das zu den Schlüsselwerken Schostakowitschs zählt, stand auf dem Programm: Das Klaviertrio Nr. 2 e-Moll op. 67.
 
Das Werk wurde im Frühling 1944 fertiggestellt und entstand aus erschütternden Umständen heraus, sowohl nationaler als auch persönlicher Art. Nach mehreren brutalen Kriegsjahren befand Russland sich in einem Zustand der Erschöpfung. Die Leningrader Blockade, in der über eine Million Menschen ums Leben gekommen waren, war im Januar zu Ende gegangen. Die deutschen Truppen zogen sich aus Russland zurück und die Schrecken der Todeslager und das Schicksal der Juden wurden allmählich bekannt. 
 
Zur selben Zeit verlor Schostakowitsch seinen engsten Freund, Iwan Sollertinsky, ein begabter Musikschriftsteller, brillanter Linguist und ein geistreicher Redner. Schostakowitsch hatte ihn im Jahr 1927 kennengelernt. Sollertinsky hatte im Februar 1944, nur fünf Tage bevor er einem Herzinfarkt erlag, einen Einführungsvortrag vor einer Aufführung von Schostakowitschs achter Sinfonie gehalten. Schostakowitsch schrieb an Sollertinskys Witwe: „Ich kann die Trauer, die ich fühlte, als ich von dem Tode Iwan Iwanowitschs hörte, gar nicht in Worte fassen. Er war mein engster Freund. Ich verdanke ihm meine gesamte Bildung. Es wird mir unbeschreiblich schwer sein, ohne ihn zu leben.“ Schostakowitsch hatte seit Dezember an seinem zweiten Klaviertrio gearbeitet und beschloss, es Sollertinsky zu widmen. Er reihte es damit in die Tradition elegischer russischer Klaviertrios ein - Tschaikowsky hatte seines in Andenken an Nikolai Rubinstein geschrieben und Rachmaninow war dem mit einem Trio in Andenken an Tschaikowsky gefolgt. Die Musik selbst verdeutlicht, dass Schostakowitsch mit seinem Werk an weitaus mehr dachte als an das Andenken an den einen einzelnen Menschen, der sein Freund gewesen war. Not und Elend der Kriegszeit spielen ebenso hinein. Die Verwendung eines Themas aus der jüdischen Volksmusik im Finale deutet wohl darauf hin, dass auch die Trauer über die Ermordung der Juden durch Hitler und Stalin zum Ausdruck kommen soll. 
 
Das Cello eröffnet das Werk mit fahlen Flageolett-Tönen; der elegische Gedanke wird von der Violine kanonartig aufgegriffen. Das zweite Thema wirkt nur vordergründig heller. Im gerade drei Minuten langen Scherzo dominiert zwar die Energie, allerdings nicht heiter, sondern bedrohlich. Die Totenklage folgt im Largo als Passacaglia über ein achttaktiges Thema, das vom Klavier mit schweren Akkorden exponiert wird. Der makabre Totentanz des Finale verklingt leise in einer Kombination des Totentanzmotivs und der Akkorde des Passacaglia-Beginns.
 
Im Oktober 2016 hat sich in der Pariser Philharmonie eine Star-Besetzung für dieses Trio zusammengefunden: Renaud Capuçon (Violine), Edgar Moreau (Violoncello) und Martha Argerich (Klavier):

www.youtube.com/watch

Beitrag von NR