Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Freunde der Kirchenmusik,
wer im Musikbereich den Begriff Rhapsodie hört, denkt zunächst vielleicht an George Gershwins "Rhapsody in Blue" mit ihrem berühmten Klarinetten-Solo zu Beginn. Unser heutiges Stück ist in Gänze der Klarinette gewidmet, stammt allerdings einem anderen Komponisten: Die Première Rhapsodie von Claude Debussy.
Debussy war im Bereich der konzertanten Musik nicht an den althergebrachten, festgefügten Formen aus früheren Epochen interessiert. So wie er keine Sinfonie schrieb, keine Klaviersonate, nur ein einziges Streichquartett und auch keine Variationsfolge, so auch kein Solokonzert traditioneller Art. Stattdessen bevorzugte er Musik in offenen, variablen, freien Strukturen: Fantasien, Tänze, Rhapsodien, Suiten, Klavierstücke.
Gerade die Première Rhapsodie mit ihrer losen Aneinanderreihung kontrastierender Episoden kam dabei Debussys Ästhetik besonders entgegen, setzte er doch das Komponieren nicht mit der immer wieder aufs Neue erfolgenden kreativen Umsetzung vorgegebener formaler Konstrukte mittels einer "logisch" vorgetragenen motivisch thematischen Arbeit gleich. Vielmehr war die Musik für ihn primär eine Klang- und Farbkunst, für deren Realisierung die subtile Auflösung gewohnter Strukturen - formal, melodisch und harmonisch - geradezu eine Voraussetzung darstellte. So fiel Debussys Wahl auch auf die Gattung Rhapsodie, als es darum ging, ein Pflichtstück für die Kandidaten der Abschlussprüfungen des Jahres 1910 im Fach Klarinette am Pariser Conservatoire zu schreiben. Ein Jahr zuvor war der Komponist von seinem Kollegen Gabriel Fauré ins Direktorium der angesehenen Musikhochschule berufen wurden, und die Abnahme der jährlichen concours zählte nun zu seinen Pflichten.
Ob Debussy aber das Verfassen eines Prüfungsstücks für dieses von ihm so geschätzte Holzblasinstrument selbst anbot oder ob er um diesen Gefallen gebeten wurde, lässt sich nicht mehr eindeutig feststellen. Die ersten Rhapsodie (der keine zweite mehr folgen sollte) entstand zwischen Dezember 1909 und Januar 1910 zunächst in einer Fassung für Klarinette und Klavier. Es gibt Hinweise darauf, dass Debussy die Version für Klarinette und Orchester bereits von Anfang an mitgeplant hatte; diese wurde jedoch erst in der zweiten Jahreshälfte 1911 realisiert. "Bedauern Sie mich, am Sonntag muss ich mir die Rhapsodie elf Mal anhören", schrieb Claude Debussy am 8. Juli 1910 an seinen Verleger Jacques Durand im Vorfeld der Prüfungen am Conservatoire. "Ich werde berichten, falls ich überlebe." Hinterher zeigte er sich jedoch überaus zufrieden: "Die Klarinettenprüfung verlief ausgesprochen hervorragend, und, der Reaktion der Kollegen zufolge, war die Rhapsodie gut gelungen!"
Die öffentliche Uraufführung dieser ursprünglichen Kammermusik-Fassung fand erst einige Monate später, im Januar 1911 in einem Konzert der Societé Musicale Indépendante in der Pariser Salle Gaveau statt. Den Klarinettenpart spielte bei dieser Gelegenheit Prosper Mimart, der Professor der Klarinettenklasse an der Hochschule, dem Debussy das Werk auch "als Zeichen meiner Sympathie" widmete. Die spätere Version mit Orchesterbegleitung erklang erstmals unter Debussys Leitung während einer Konzerttournee in St. Petersburg im Dezember 1911. Diese Premiere scheint allerdings nicht von großem Erfolg gekrönt gewesen zu sein, wie Debussy an Durand berichtete: "Die Aufregung der Russen über die Rhapsodie scheint mir sehr übertrieben. Umso mehr, als dieses Stück zum Liebenswürdigsten gehört, was ich jemals komponiert habe." Und in der Tat ist Claude Debussys Rhapsodie heute nicht mehr aus dem Klarinetten-Repertoire wegzudenken, verlangt sie doch jedem Solisten in geradezu exemplarischer Weise die Fähigkeit ab, innerhalb von nur knapp zehn Minuten die unterschiedlichen Facetten dieses so wandlungsfähigen Instruments zu demonstrieren - von träumerischer Melancholie bis hin zu kapriziöser Virtuosität, die sich am Ende gar zu einer auf Gershwin vorausweisenden, beinahe "jazzigen" Ausgelassenheit steigert.
Im Rahmen der Järna Festival Academy spielte im Juli 2020 der schwedische Klarinettist Martin Fröst gemeinsam mit dem Pianisten Peter Friis Johansson Debussys Rhapsodie im Kulturhuset Ytterjärna:
www.youtube.com/watch
Und zum Vergleich noch eine Fassung mit Orchester: Cristian Măcelaru und das Orchestre National de France begleiteten Carlos Ferreira am 30. Dezember 2021 in ihrem Neujahrskonzert im Pariser Radio France Auditorium:
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20.04.2022
Kategorie: ElmMusik, ErkerodeMusik